Das Rabenlied

Unsere Familie lebt hier schon seit mehr als hundert Jahr’n,
mein Urgroßvater ist hier noch mit’m Heuwagen hergefahr’n.
Auf den Wiesen hinterm Deich stand schon immer unser Vieh,
und im alten Bauernhof sang Mutter ihre Melodie.

Chorus:

Und wir haben geglaubt, wir hätten Zeit genug,
Zeit wie das Jahr und wie der Wolkenflug.
Wir sahen nicht die Raben in der Nacht.
Wir sahen nicht die Raben in der Nacht.

Mein Vater war der erste, der hier mit ’nem Traktor fuhr,
doch auch erst seit dreißig Jahren, denn vorher war er stur.
Die Angst vor all dem Neuen, die stand ihm im Gesicht,
die Angst vor Radio, Telefon und vor elektrisch Licht.
Mit den neuen Dingen war das Leben angenehm,
und trotz der neuen Dinge blieben die Wiesen ruhig stehn,
der Himmel, der war blau, und der Fluß lief ungestört
und manchen Abend hab’ ich noch die Nachtigall gehört.

Chorus

Eines Tages wuchsen Schornsteine jenseits vom Fluß,
an kalten Regentagen sahen wir den ersten Ruß.
Alles war weit fort, zwei Stunden mit der Bahn,
das hat uns nur gestört, wenn wir in die Großstadt kam’n.
Als die ersten Felder fielen, Baugrund einer Industrie,
für Bayer Leverkusen oder sonst eine Chemie,
da war der Himmel grau, doch der Fluß lief ungestört.
Mal ehrlich, da hab’n wir schon ein wenig Angst gespürt.

Chorus

Doch heute wächst auf den Feldern links vom Deich
ein Kernkraftwerk in den Himmel und in unser Reich.
Die Angst um unser Vieh und um unsern Lebensraum,
die hört nicht auf zu nagen an unserm Lebensbaum.
Und wenn wir heut gemeinsam auf die Straße geh’n,
dann hoffen wir, dieses Werk wird niemals steh’n,
und wenn auch unsre Kraft nicht zum Erfolge reicht,
wir hör’n nicht auf zu kämpfen, uns kriegt man nicht mehr weich.

Chorus